Sonntag, 5. März 2006

Ein Esel in Wien (2)

Der Esel war eindeutig Anas treuer Begleiter, das konnte ich an seinem Gesicht zweifelsfrei erkennen, obwohl er jetzt auf einmal - weiß der Teufel warum - weiß war. Diese Erkenntnis beruhigte mich irgendwie, denn sie gab mir zumindest einen Grund, warum ich auf einmal die Last der Verantwortung für einen Esel tragen mußte. Er, ein Landesel aus den Karpaten, war hier ganz allein in einer fremden Großstadt. Was hätte ich denn tun sollen?
Der Wecker klingelte und unterbrach meine logischen Überlegungen.
Nach dem Frühstück zahlte ich die Hotelrechnung, erfuhr mit großer Erleichterung, daß die TU bloß etwa 10 Gehminuten entfernt war, trug meinen Koffer ins Auto und ließ das Prachtstück auf dem Hotelparkplatz stehen.
Um acht traf ich dann pünktlich beim Prof. Dr. Ing. Urbanczyk ein, einem großen Blonden mit scharf geschnittenem Gesicht, schütterem Haar und einer sehr affektierten Art zu sprechen. Sein Mitarbeiter Dr. Bittner war ein gemütlicher kleiner Kerl mit Brille, der ständig lächelte und für seine geringe Gestalt viel zu große Gesten machte. Wir unterhielten uns knapp eine Stunde über den Stand der Versuche, wobei es mir nach und nach klar wurde, daß die Zwei genauso scharf auf diese Kooperation waren wie ich auch. Sie gehörten nämlich zu diesem narzißtischen Wissenschaftlertyp, der nichts anderes will, als publizieren und im Rampenlicht der Kongresse und Hörsäle stehen. Im tiefen Inneren hatten sie ohnehin kein besonderes Vertrauen zu ihrer Technologie im Hinblick auf eine Weiterentwicklung zum kommerziellen Produkt. Und die Dreckarbeit, um sie vielleicht doch dahin zu entwickeln, die wollten sie erst recht nicht machen, auch für viel Geld nicht.
Nach dieser einen Stunde wurde ich dann in Einweg-Schutzkleidung samt Kopfhaube gesteckt und durch die Reinraumlabors geschleift, wo überall lauter junge Mitarbeiter zugange waren. Ich schüttelte jede Menge Hände, darunter auch die zierliche Hand von Fräulein Urbanczyk, der Tochter des Professors, besichtigte eine Anlage nach der anderen und erfuhr nichts, was ich nicht schon vorher gewußt hätte.
Um halb eins waren wir dann durch. Der Urbanczyk bot mir an, mich in die Mensa mitzunehmen. Ich bedankte mich, log, daß ich bereits um drei zurückfliegen wollte und verabschiedete mich.
Ich mußte unbedingt eine rauchen.
Auf dem Weg nach draußen entdeckte ich eine Cafeteria. Ich holte mir an der Theke einen doppelten Espresso, setzte mich, zündete eine Marlboro an und hoffte, unentdeckt zu bleiben.
Ein junger Mann mit einer Kaffeetasse in der Hand näherte sich.
"Sie sind doch der Herr aus Deutschland, oder? Ich habe Sie im Aquarium… ähem… im Labor gesehen, glaube ich. Mit dieser Schutzkleidung ist es nicht leicht, jemanden wiederzuerkennen."
Sein Gesicht sagte mir gar nichts.
"Ja, der bin ich. Setzen Sie sich doch. Aquarium, also? Passender Name." Die Labors, die ich gerade besichtigt hatte, waren auf der ganzen Länge durch große Glasscheiben vom Korridor aus einsehbar. Die Trennwände zwischen den verschiedenen Sektionen waren ebenfalls aus Glas.
"Schrecklich, so arbeiten zu müssen. Wann geht's wieder heim?"
"Erst heute abend, ich will mir noch ein bißchen die Stadt anschauen."
"Wollen Sie etwas bestimmtes sehen, oder nur so?"
"Nur so. Einfach durch die Stadt spazieren."
"Wenn Sie mögen, führe ich Sie ein bißchen herum. Wenn man wenig Zeit hat, ist eine Besichtigung mit einem Eingeborenen zusammen viel effektiver." Beim Wort "Eingeborenen" lächelte er kurz.
Der Vorschlag kam etwas überraschend. Leichtes Mißtrauen kam auf, ich verdrängte es aber schnell, denn der junge Mann gefiel mir irgendwie.
"Sehr gern, wenn es Ihnen nichts ausmacht" sagte ich.
"Wenn Sie vorher etwas essen wollen, bringe ich Sie in die Mensa. Ich habe schon gegessen."
"Nein, bloß nicht in die Mensa! Ich habe den Urbanczyk nämlich angelogen, daß ich um drei schon abfliege. Ich hole mir gleich ein Belegtes von der Theke."
Er zeigte mir in den kommenden Stunden so viel von Wien, wie ich alleine nicht in einem Jahr hätte entdecken können. Er führte mich von einem Innenhof zum anderen, brachte mich in verschiedene Museen, zeigte mir enge Gassen, wo früher die Tuberkulose grassierte und wo man den Himmel nicht sehen konnte, ohne sich den Hals zu verrenken, und auch weite Plätze und prächtige Paläste. Wir tranken zwischendurch einen Mokka in einem Caféhaus. Er erzählte mir in gewählten Worten von verschiedenen Adelsgeschlechtern, Freimaurern, Künstlern und Wissenschaftlern, die in Wien gelebt hatten, von der politischen Entwicklung vor und nach dem ersten Weltkrieg und auch von der Judenverfolgung.
"Der typische Wiener bringt das Kunststück fertig" sagte er wieder mit dem Anflug eines Lächelns im Gesicht, "weltoffen im Großen und xenophob im Kleinen zu sein, manchmal aber auch umgekehrt."
Solche Bemerkungen konnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß er eine sehr innige Beziehung zu dieser Stadt und zu ihren Menschen hatte und unwahrscheinlich viel darüber wußte. Er konnte Namen, Daten und Fakten aus dem Ärmel schütteln, daß es einem schwindlig werden konnte. Und das alles verschwendete er an mir.
Später begleitete er mich zum Hotelparkplatz, denn ich mußte langsam zum Flughafen fahren. Er beäugte meine Karosse, sagte aber nichts dazu. Wir verabschiedeten uns.
Während der Fahrt fiel mir auf, daß ich ihn nicht einmal nach seinem Namen gefragt hatte.
In den nächsten Tagen versuchte ich vergebens, herauszufinden, wer er war, indem ich sowohl Urbanczyk als auch seine Mitarbeiter ausfragte. Niemand konnte mir sagen, wer der junge Mann war. Es hieß nur: nicht aus unserer Arbeitsgruppe.
In der Woche darauf rief mich der Urbanczyk an.
Wir einigten uns darüber, die Kooperation neu zu ordnen und die ehrgeizigen Ziele meines Chefs zurechtzustutzen. Als wir mit den dienstlichen Themen durch waren, sagte er beiläufig:
"Übrigens, ich weiß jetzt, wer der junge Mann ist, nach dem Sie gefragt haben. Er ist Philologiestudent und der Freund meiner Tochter, sozusagen mein Schwiegersohn in spe." Er schien über diese Tatsache nicht besonders erfreut zu sein.
"Daher also! Ich hielt ihn für einen Institutsangehörigen. Ich habe mich gewundert, daß er so viel über Wien weiß."
"Er war an dem Tag nur zu Besuch da. Ja, darüber weiß er wirklich viel. Ich kann mir vorstellen, daß sie einen interessanten Nachmittag verbracht haben."
"Die Jugend von heute! Dabei habe ich ihn gebeten, meine Notlüge nicht zu verraten!"
"Das hat er gar nicht. Meine Tochter hat sich verplappert."
Die Frage, die ich ihm noch stellen wollte, verkniff ich mir. Ich konnte nur hoffen, daß er von der Zuhälterkarosse nichts erfahren hatte.

Freitag, 3. März 2006

Soziale Kompetenz

"Sollte ich meine Alte mit einem Anderen erwischen", sagte der Pavian zum Menschen, "dann verprügele ich erst ihn, dann sie. Nachher passe ich besser auf. Ich bin doch nicht bekloppt, mich scheiden zu lassen und dem Luder noch Unterhalt zu zahlen. Wenn ich dich aber so von Gewaltlosigkeit reden höre, dann glaube ich, daß dir etwas entscheidendes fehlt, das dir die Befähigung - wenn nicht gar die Berechtigung - zur Gewalt geben könnte. Wir Menschen kommen ohne Gewalt einfach nicht aus, glaub mir, alles Andere ist intellektuelles Geschwätz. Wer kann, der soll."

Donnerstag, 2. März 2006

Ein Esel in Wien (1)

Anfang der 90er Jahre. Meine bewegte Schaffensperiode bei Dingenskirchens GmbH.
Ich warf die Arbeitsmappe mit dem Titel "Kooperation TU Wien" in die Aktentasche, prüfte flüchtig das Flugticket und das Fax mit der Hotelreservierung, schloß ab und ging. Ich mußte noch packen, mich umziehen und dann nach Frankfurt fahren, wo ich die 20 Uhr Lufthansa Maschine nach Wien nehmen wollte.
Ich mochte diese Kooperation nicht. Meinen damaligen Chef (Gott bewahre vor fleißigen Idioten), der sie anläßlich eines Kongresses zwischen Tür und Angel eingefädelt hatte, mochte ich noch weniger.
Vor der Rheinbrücke gab's prompt den ersten Stau, der mich vierzig Minuten kostete. An Duschen und Umziehen war jetzt nicht mehr zu denken. Ich bugsierte Kulturtasche und sonstige Klamotten in einen kleinen Koffer und fuhr gleich wieder los.
Der zweite Stau, den es auf der A67 kurz vor Gernsheim gab, schien, obwohl der Verkehrsfunk hier nichts meldete, eine größere Sache zu sein. Ich verfluchte noch einmal das Projekt, meinen Chef, den Verkehrsfunk, den Idioten, der mich bei meiner Fahrt auf dem Standstreifen bis zur Ausfahrt Gernsheim anhupte, und fuhr über die Dörfer zur parallel verlaufenden A5. Noch hätte ich es schaffen können. Dann kam vor dem Darmstädter Kreuz der dritte Stau, der mir sozusagen den Rest gab.
Jetzt stand ich am Lufthansaschalter und beriet mich mit einer Dame schwarzer Hautfarbe, die komischerweise Krüger oder ähnlich hieß und ein perfektes Deutsch sprach, über die verbleibenden Möglichkeiten, heute doch noch nach Wien zu kommen. Es gab keinen weiteren Flug an diesem Abend, ich hatte zu wählen zwischen Graz und Linz, Weiterfahrt im Mietwagen inbegriffen. Also wählte ich Linz. Hier angekommen tingelte ich von einer Autovermietung zur anderen und fragte nach einem Wagen. Nichts da, alles reserviert. Am InterRent Schalter (damals gab es die noch) thronte eine elegante Brünette, die mich an Miss Moneypenny aus den älteren James Bond Filmen erinnerte.
"Haben Sie einen Mietwagen für mich? Ich habe keine Reservierung." Mittlerweile hatte meine Frage einen leicht flehenden Unterton angenommen.
"Sie haben aber Glück, gerade ist einer zurückgegeben worden. Das ist hier ein bißchen schwierig ohne Reservierung. Die meisten unserer Wagen werden in Wien zurückgegeben, wir haben hier immer nur das Allernotwendigste."
"Sie sind meine Rettung!" Daraufhin guckte sie mich streng über die Lesebrille an. Ich reichte ihr Paß und Führerschein über das Pult rüber.
"Was ist das für ein Auto? Ich nehme alles bis auf Opel!"
"Das ist ein... Mercedes 280 SL Automatik, Farbe… weiß."
"Moment mal. Ist das nicht der Pagoden-Mercedes?"
Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht.
"Ich glaube, ja. Zweisitzer jedenfalls."
"Das wollen Sie mir doch nicht antun! Da wäre mir sogar ein Opel lieber."
Jetzt lächelte sie gar.
"Ich habe aber wirklich nichts anderes da."
"Dann nehme ich's, in Gottes Namen." Ich schloß alle möglichen Zusatzversicherungen ab, was sich zusammen mit der Miete zu einem hübschen Sümmchen addierte, lächelte etwas verlegen, nahm Schlüssel und Papiere mit und verschwand.
Als ich vom Parkplatz auf die Straße fuhr, bremste ich ab und versuchte gleichzeitig, auszukuppeln, wobei ich mit dem linken Fuß natürlich volle Kraft auf das fast vierzig Zentimeter breite Bremspedal trat. Die verdammte Zuhälterkarrosse blieb mit einem Schlag stehen, als wäre ich auf eine Mauer aufgefahren. Ich schloß Daimler Benz, das Automatikgetriebe, die Firma InterRent und alle Zuhälter dieser Welt in die Reihe meiner Verwünschungen ein, und dies wiederholte ich später mit noch mehr Nachdruck, als ich bei höheren Geschwindigkeiten starke Rollgeräusche vernahm. Auf der Autobahn traute ich mich nicht, schneller als 120 zu fahren, denn das Lenkrad der Pagode vibrierte bedenklich. ("Sie haben einen Bremsplatten gehabt" sagte man mir bei der Rückgabe des Wagens am nächsten Tag in Wien. Einer meiner Vorgänger hatte wohl eine Vollbremsung veranstaltet. Das Schmuckstück hatte, ob Sie's glauben oder nicht, jede Menge Wurzelholz und Leder, jedoch kein ABS zu bieten.)
Ich kam in Wien kurz nach eins an. Als die Autobahn endete, fuhr ich einfach geradeaus in Richtung Zentrum weiter, in der Hoffnung, daß mein Hotel (das den Namen irgendeines Adligen trug) einigermaßen zentral gelegen wäre. Ich hielt gerade nach einer Tankstelle Ausschau, um nach dem Weg zu fragen, als ich merkte, daß ich schon in der richtigen Straße war. Im Hotel angekommen, parkte ich meine Karosse auf dem Hotelparkplatz, klingelte den Portier raus, schnappte mir den Schlüssel und ging aufs Zimmer. Hier fiel mir auf, daß ich vergessen hatte, mich wecken zu lassen, war zu müde oder zu feige, um den Portier noch einmal zu wecken, und stellte den Radiowecker vom Nachttisch auf 6:30 h ein. Das Glockensymbol tauchte kurz auf und verschwand wieder. Ich machte das Ganze noch einmal mit dem gleichen Ergebnis, dann erklärte ich dem Wecker, daß es mir völlig wurscht sei, ob er morgen klingele oder nicht und ging schlafen. Ich guckte natürlich die ganze Nacht etwa alle zehn Minuten auf die Uhr. Dazwischen hatte ich jedoch genug Zeit, um irgendwas wirres von einem weißen Esel zu träumen, den ich durch die Straßen von Wien am Zügel führen mußte.
--Fortsetzung folgt--

Mittwoch, 1. März 2006

Offener Brief an die Bundesagentur für Arbeit

Als erstes, liebe Mitarbeiter der BfA, möchte ich Sie beruhigen: ich suche keine Arbeit. Besser gesagt (um wie Ihr neuer Chef zu reden, als er damals gefragt wurde, ob er für die Affären des Florian Gerster nicht etwa mitverantwortlich sei) ganz im Gegenteil.
Ich weiß, die Ethikkommission hindert sie daran, die Liste mit Stellenangeboten ganz zu unterschlagen und sich auf diese Art vor Arbeit zu schützen. Man muß sich aber zu helfen wissen, nicht wahr?
Angeregt durch die neuen Arbeitslosenzahlen habe ich einen Blick auf Ihre Internetpräsenz geworfen, um zu prüfen, wie gründlich Ihre Bemühungen beim Verstecken der Stellenangebote überhaupt waren.
Ich muß Ihnen schon bescheinigen, daß Sie, bzw. Ihre Kryptographieexperten, solide und auch phantasievolle Arbeit geleistet haben. Es gab keinen direkten Weg dahin, ohne über diese blödsinnige Suchmaske mit ihren vielen Feldern zu gehen. Und wenn man schon den Fehler machte, die Maske auszufüllen, dann war man eine Zeitlang beschäftigt, nicht war? Und vor allem die schönen Nebelgranaten wie "Service von A bis Z" , "Informationen für Arbeitnehmer" oder "Suche"! Wunderbar! Es reichte fast an die akkurate Bedienungsverweigerung eines Motorolahandys heran. Mich konnten Sie aber nicht täuschen: Ich habe das Geheimnis minutenschnell geknackt. Ich befolge bei meinen Internetrecherchen nämlich zwei Prinzipien.
1. Suche nicht nach Logik. Vertraue dem Zufall!
2. Wenn Du per Zufall doch auf Logik triffst, mach sie am besten gleich tot. Es kann sich nur um ein Täuschungsmanöver handeln.
Also ich klicke immer im Uhrzeigersinn drauflos und bin damit bisher sehr gut gefahren.
Besten Dank für die gute Unterhaltung, ja?

Mit freundlichen Grüßen

Fely

Dienstag, 28. Februar 2006

Dementi

Zitiere:

"Die Behauptung, die beiden BND-Mitarbeiter hätten den Plan Saddam Husseins zur Verteidigung der irakischen Hauptstadt beschafft und bereits einen Monat vor Kriegsausbruch den USA übermittelt, ist falsch."

Dafür kann ich mir schon einige Gründe vorstellen:
1. Es handelte sich um vier BND Mitarbeiter
2. Diese haben die Verteidigungspläne nicht beschafft, sondern zu je einem Viertel von ihren alten Tanten geerbt
3. Die Weitergabe an die Amerikaner erfolgte lediglich 21 Tage vor Kriegsausbruch.
Oder so.

Sonntag, 26. Februar 2006

Der kleine Demiurg

Nach unzähligen Experimenten und Berechnungen stellte er schließlich eine Formel auf, die die Vorgänge in der Realität einigermaßen genau beschreiben konnte. Sie war genauso reichlich gespickt wie eine Weihnachtsgans, allerdings mit lauter empirischen Korrekturfaktoren.

"Meine Formel muß ein Naturgesetz sein", dachte er sich voller Stolz, "sonst würde die Natur ihr nicht gehorchen".

Donnerstag, 23. Februar 2006

Der maghrebinische Freund

Neulich habe ich nach langer Zeit meinen ehemaligen Arbeitskollegen Dr. Dipl. Ing. Magdy Abdel Kassar, den Ägypter, wieder getroffen. Er hatte etliche Kilo zugelegt und die meisten seiner Haare verloren, war aber ansonsten unverändert: großspurig, jovial, prahlerisch. Er ist nach wie vor der Meinung, daß Frauen auf ihn fliegen, was früher sicherlich auch der Fall war. (Heute steht zumindest fest, daß Kinder auf ihn fliegen, sie sind von seiner riesigen Gestalt einfach fasziniert, er ist für sie eine Art freundlicher, kuscheliger Godzilla.) Diesmal fragte er mich nicht, ob "es" bei mir noch läuft, diese Standardfrage war ansonsten in jedem Telefongespräch unvermeidlich.
Wir schlenderten eine Weile durch die Strassen der Büdinger Altstadt und sprachen von der guten alten Zeit bei der Firma Soledo, von meiner Scheidung, vom Irakkrieg, und auch von anderen Sachen in der Art. Ich mußte jede Menge Ratschläge, Feststellungen wie "Die Türken sind ein dummes Volk" oder „Die Gründung des jüdischen Staates war ein historischer Fehler“ und ähnliche Weisheiten einstecken.
„Apropos Juden. Kannst Du Dich erinnern, wie man Dich am Flughafen festgehalten hat?“ fragte ich ihn. Mitte der Achtziger waren wir einmal dienstlich zusammen nach Berlin geflogen, denn wir hatten in unserem Berliner Werk paar Projekte laufen. Am Flughafen Tegel wurde er ohne Angabe von Gründen vom Bundesgrenzschutz fast drei Stunden festgehalten. Dabei war wohl nicht nur sein arabisch klingender Name, sondern auch sein ausgeprägt „ausländisches“ Aussehen schuld, denn Freund Magdy hat ein ziemlich dunkles Teint, fast wie ein Nubier. Ich leistete ihm aus Solidarität und zur Belustigung der Beamten („Hier hast Du auch einen Freiwilligen, Willi!“) Gesellschaft. Den gemeinsamen Termin beim Werkleiter konnte ich telefonisch auf den Nachmittag verlegen.
„Die Idioten! Was sollte das sein? Nur weil der Schamir zu Besuch kam! Die Arschlöcher! Warum wollten sie uns nicht sagen, was los war?“ Das mit Schamirs Besuch erfuhren wir in der Tat erst, als man uns bzw. ihn gehen ließ. Seine geringschätzige Meinnung über die Grenzschützler hinderte ihn aber nicht daran, sie die ganze Zeit mit heiteren Geschichten zu unterhalten.
„Kannst Dich auch an die Autofahrt mit Grümer erinnern? Den Ersten bis fünfzig, den Zweiten bis hundert, und dann direkt in den Vierten schalten?“
„Grümer! Hast Du das gesehen? So ein Idiot! Aber das Essen war in Ordnung.“
Grümer, der Werkleiter, chauffierte uns am Abend nach der Besprechung auf Sightseeing durch ganz Berlin. Zwei Stunden lang zeigte er uns eine Sehenswürdigkeit nach der anderen und redete unentwegt. Auf der Stadtautobahn, wo die Geschwindigkeit fast überall auf 80 begrenzt war, fuhr er im Schnitt 140. Er entschuldigte sich mehrmals, daß er uns im kleinen Golf seiner Frau fahren mußte, weil seine Audi 200 Dienstlimousine ausgerechnet heute gewartet wurde. Dabei hätte er sich lieber wegen seiner Fahrweise bei seiner Frau oder beim Golf entschuldigen müssen. Wie auch immer, mit seiner Hilfe besichtigte ich zum ersten mal auch die Mauer, konnte auf eine Aussichtsplattform klettern und von oben die Grenzanlagen betrachten. Der Abend endete dann auf dem Kurfürstendamm im „Klein Paris“ bei Kalbfleisch mit Estragonsauce und Reis. Dazu tranken wir Weißwein. Göttlich.
Aber ich schweife ab. Kehren wir zurück nach Büdingen, lieber Leser, wo’s am Tag meines Treffens mit Magdy irgendein obskures Fest gab. Die Geschäfte waren daraufhin alle offen, mit Straßenverkauf und sonstigem Drum und Dran, obwohl es Sonntag war. Wir mischten uns in die bunte Menschenmenge und quatschten weiter.
Auf einmal erblickte ich auf einem Kleiderständer eine Jacke, die nicht nur gut aussah, sondern auch erheblich preisreduziert war. In meiner Größe gab’s aber nur ein Exemplar, und ausgerechnet diesem fehlte ein Knopf.
"Das dürfte kein Problem sein, nimm sie. Hier hast Du Deinen Knopf" sagte Magdy zu mir, nachdem er einen von einer anderen Jacke gleichen Models einfach abriß und ihn mir großzügig anbot. Verschämt steckte ich den Knopf schnell in meine Hosentasche. An der Kasse versuchte mein Begleiter mit Erfolg, wegen des fehlenden Knopfes den Preis noch weiter zu drücken, sprach mit der Verkäuferin über seine unmögliche Kleidergröße, lachte viel, steckte ein paar Rabattmarken ein und half mir bei der Geldübergabe aus.
Irgendwann brachte ich ihn zu seinem Hotel zurück und fuhr dann nach Hause.
Als ich hier meine Beute betrachtete, stellte ich fest, daß der abgerissene metallene Knopf kaputt war. Der Drahtbügel auf seiner Rückseite war herausgerissen und hing wohl noch am Nähgarn, an der falschen (oder, je nach Standpunkt, richtigen) Jacke.
Kleinigkeit, dachte ich mir, so was kann ich reparieren.
Zu einer Reparatur kam es jedoch nicht. Meine Katze Felicia, die von runden Gegenständen wie Münzen, Knöpfen, Nähgarnspulen und Wollknäueln magisch angezogen wird, klaute ihrerseits den Knopf von meinem Schreibtisch weg. Sie spielte eine Weile damit im Flur, wobei sie unüberhörbar mit dem Kopf gegen sämtliche Türen rannte, bis sie ihn schließlich hinter irgendeinem Möbelstück verlor. Ich habe ihn nicht mehr gefunden. Muß wohl im Bauch eines Staubsaugers und anschließend im Müll gelandet sein.
Das Verbrechen lohnt eben nicht.

Dies ist mein Beitrag zur Aktion "Ich bin ein Faschingskrapfen" des "Clubs der habtoten Dichter". (Leider habe ich einen viel schöneren Namen der Aktion durch eine dumme Bemerkung verhindert.)

Rezept

Wie angenehm läßt es sich doch nach dem Motto leben:
"Ich glaube von jedem Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich hab' mich noch selten getäuscht." (Johann Nestroy)
Wenn die eigene Schlechtigkeit einem Recht gibt, dann hat man ein erhebendes, ja wirklich gutes Gefühl.

Mittwoch, 22. Februar 2006

Kinderei

Die allgemeine Stimmung im Lande ist besser geworden. Die Kampagne "Du bist Deutschland"
soll dazu den entscheidenden Beitrag geleistet haben.
Das erinnert mich an einen Witz aus meiner Kindergartenzeit.

"Warum haben Elefanten rote Augen?"
"?"
"Damit sie sich auf einem Kirschbaum verstecken können."
"Blödsinn!"
"Wieso? Hast Du je einen Elefanten auf einem Kirschbaum gesehen?"
"Äh... nö."
"Na siehst Du, wie gut sie sich verstecken können?"

Ich bitte den Leser um Verständnis für das geistige Niveau dieses Beitrags. Außerdem ist die Geschichte mit dem Kirschbaum längst überholt, denn die perfekte Tarnung für einen Elefanten bietet heute bekanntlich der Porzellanladen.

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