Sonntag, 19. Februar 2006

Styria

Es passierte im Spätsommer des vorletzten Jahres. Ich mußte wieder nach Graz.
Diesmal habe ich meinen Grazer Kollegen nicht erzählt, daß ich schon am Vortag unserer Besprechung komme, ich hätte nämlich auch die Frühmaschine aus Frankfurt nehmen können. Obwohl ich die meisten gut leiden konnte, hatte ich an diesem Tag einfach keine Lust, wieder mal auf den Schloßberg geschleppt zu werden und anschließend beim Essen noch Konversation machen zu müssen.
Im Hotel angekommen, ging ich kurz aufs Zimmer, erstattete zuhause Meldung, und ging gleich essen.
Es war angenehm warm. Die Innenstadt war belebt. Ehrwürdige Häuser mit vertrauter Architektur zeigten im Abendlicht dezent ihre Fassaden. Elegant gekleidete Frauen und Männer fuhren ihre Autos aus den Höfen auf die Strasse, hielten dann an und liefen zurück, um die schweren metallbeschlagenen Tore zu schließen, die die Innenhöfe vor neugierigen Blicken schützen. An einer Straßenecke vor dem Rathaus spielte eine echt ungarische Zigeunerkapelle echt ungarische Zigeunermusik.
Ich fand in einem Innenhof mit Torbogeneinfahrt ein chinesisches Restaurant mit einer kleinen Terrasse. Das war nicht unbedingt meine kulinarische Präferenz, der Hof gefiel mir aber sehr gut. Dreistöckige Häuser mit alten Holzfenstern umsäumten den gepflasterten Hof, der klein genug war, um gemütlich zu wirken, aber groß genug, um noch einigermaßen hell zu sein. Die hohen Mauern waren in einem gelblichen Farbton gestrichen, den man nur mit den alten Kalkfarben hinkriegt. Das Pflaster war ein wirkliches Wunder aus Naturstein.
(Da ich gerade im Begriff war, eine schwerwiegende Entscheidung bezüglich meines Terrassenbelags zu treffen, hatte ich zu dieser Zeit einen geologischen oder besser gesagt petrographischen Tick. Ich habe bei diesem kurzen Besuch in Graz so viele wunderbare Steine gesehen, vom Marmor und Onyx im Hotelbadezimmer bis hin zu Granit, Basalt und Porphyr auf den Strassen, so daß ich schlicht überwältigt war.)
Ich setzte mich auf die Terrasse und bestellte bei einer jungen Chinesin mit Zöpfenfrisur ein Pils - was mir die Bemerkung einbrachte, ich sei wohl Deutscher - und "Acht Kostbarkeiten".
Ein Sperling landete auf der Stuhllehne mir direkt gegenüber. Dann hüpfte er nacheinander auf alle anderen Stuhllehnen und gelegentlich auch auf den Boden. Es war ein Männchen, mit prächtigem braun-grauen Gefieder und gut im Futter. Dann kam er zurück, denn ich war unverkennbar der einzige Gast auf der Terrasse. Er neigte den Kopf, um mich zu beäugen, und tat das eine zeitlang ziemlich unverblümt. Ich prostete ihm zu. Jetzt schien er einen Entschluß gefaßt zu haben und flog in einem unwahrscheinlich steilen Winkel nach oben, auf die Dächer. Kaum zu glauben, daß ein so plump wirkender Vogel solche Kunststücke vollbringt.
Dann kam nicht nur mein Essen, sondern auch Besuch. Eine zierliche Sperlingsdame mit samtenem Gefieder landete auf der Stuhllehne und hüpfte sogleich auf den Tisch. Sie streckte den Hals und lugte über meinen Teller hinweg zur Reisschale, dann drehte sie den Kopf und blickte mich fest an. Ich breitete eine Papierserviette aus und tat einen Löffel Naturreis darauf. Noch während ich dabei war, die Reiskörner herauszuschütteln, fing sie an, sich den Schnabel ganz methodisch mit Reis vollzuladen. Mir fällt einfach kein besseres Wort ein, denn sie schluckte kein einzelnes Korn herunter, sondern nahm einfach so viele auf, bis sie merkte, daß es nicht mehr geht. Dann flog sie nach oben weg, auf die Dächer, und die unbeschreibliche Intimität dieser Begegnung war zu Ende. Die junge chinesische Kellnerin grinste mich aus der Restauranttür an.
Ich bestellte noch ein Bier. Die Terrasse füllte sich langsam. Eine Horde von etwa zwanzig Studenten besetzte geräuschvoll die Tische in meiner Nähe. Es wurde deutsch, englisch, italienisch, etwas, das ich für serbokroatisch hielt und noch eine arabisch anmutende Sprache gesprochen. Der chinesische Besitzer kam raus und sagte "Servus" zu der Meute, offenbar kannte man sich.
Ich hatte inzwischen drei Sperlingsweibchen auf meinem Tisch, die ungefähr die Hälfte meiner Reisportion beanspruchten. Das Grinsen der chinesischen Kellnerin wurde noch breiter. Als sie abräumte, ließ sie die Serviette, auf der noch einige Reiskörner waren, mit den Worten liegen: "Vielleicht kommen die noch!". Und sie kamen.
Ich saß da, trank mein Bier und dachte über dies und jenes nach. Felix Austria! Ich hatte einen wunderbaren Tag in Graz erlebt. Wo war das Häßliche, das Böse, das Unappetitliche? Vielleicht woanders, aber nicht hier. Ich trank noch ein Bier oder zwei und ging dann schlafen.

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