Hunde fressen keine Kartoffeln

So lange man keinen eigenen Hund oder bloß so eine überzüchtete, kaum lebensfähige Hundekarikatur hat, kann man diese Aussage für eine Weisheit halten. Ansonsten nicht. Glauben Sie mir.
In diesem internationalen Jahr der Kartoffel wärme ich noch eine vier Jahre alte Kartoffelgeschichte auf.

Das Lagerfeuer

Ich guckte auf die Uhr. Schon halb fünf. Für den nächsten Tag war Regen gemeldet, so daß heute abend wohl die allerletzte Gelegenheit für das Lagerfeuer war, denn am übernächsten Tag wollten wir abreisen.
Ich ging ins Haus.
Meine Mutter lag auf ihrem Bett und las "die Presse". Um sie herum, auf dem Bett, auf dem Nachttisch, auf dem Bettvorleger, lauter Zeitungen und Zeitschriften. Die eine davon mußte ich heute mittag Blatt für Blatt an der Sonne trocknen, weil sie durch einen Regenguß total durchnäßt war. (Seitdem sie in diesem Frühjahr an beiden Augen operiert wurde - sie hat jetzt im Alter von 95 Jahren links 85% und rechts 100% Sehkraft - stört sie nicht einmal eine Brille daran, ihrer Lesesucht nachzugehen.)
"Heute abend gibt's drüben Lagerfeuer" verkündete ich laut, damit sie mich auf Anhieb versteht. Mit "drüben" war Veras Grundstück gemeint, das genau gegenüber von meiner Hütte liegt.
"Ach ja?" sagte meine Mutter wenig überzeugt, "wenn's nicht zu kalt wird…" Wir hatten zwar erst Ende August, in hiesiger Höhe sind jedoch die Nächte bereits ziemlich kalt.
"Heidnischer Brauch, das" kommentierte meine Schwester den Vorschlag, wobei ich ganz genau wußte, daß sie eigentlich auf so was steht. Sie hatte nur Angst, daß es der Mutter zu kalt wird. Unter anderem. Und außerdem hatte sie schlechte Laune. Sie saß am Tisch und war dabei, einen Stapel Papierblätter zu bearbeiten. Wer konnte ihr die schlechte Laune verdenken? Es war die halbe Dissertation einer gemeinsamen Freundin über Michel de Ghelderode, die nunmehr in Buchform erscheinen sollte. Der einzige Grund, den Text nicht als langweilig zu bezeichnen, war sein Einfallsreichtum in puncto Abkürzungen: wenn eine davon vier mal auf einer Seite auftauchte, konnte man davon ausgehen, daß sie auf vier verschiedene Weise geschrieben wurde.
"Also abgemacht" sagte ich. "Macht euch fertig und zieht was warmes an. Wir gehen dann so gegen sieben rüber".
Ich sagte auch Vera Bescheid, bat sie, ein Tablett mit dem notwendigen Zubehör vorzubereiten, und ging mit einer Hacke und einem großen Eimer in den Garten, Kartoffeln holen. Schäferhündin Bonny kam natürlich mit, legte sich ins Gras und guckte mir interessiert zu.
Die Kartoffelpflanzen waren durch die Dürre dieses Sommers ziemlich mitgenommen, an vielen Stellen war vom Grünen nichts mehr zu sehen. Die Knollen unter der Erde waren aber von einer gesunden rosa Farbe, auch wenn die meisten nicht größer waren als ein Hühnerei. Ich machte den Eimer voll und kehrte zum Haus zurück.
Am Wasserhahn draußen füllte ich den Eimer mit Wasser und putzte jede einzelne Kartoffel unter dem Wasserstrahl mit einer Bürste sauber. Danach spülte ich sie im Eimer noch mal gründlich mit Wasser, trocknete sie einzeln ab und wickelte sie in Alufolie ein.
Dann half ich Vera bei den übrigen Vorbereitungen. Ich brachte aus der Garagenscheune eine Schubkarre, eine Axt, eine Heugabel und eine Harke mit. Ich packte ansonsten den Eimer mit Kartoffeln, eine Grillzange, eine Taschenlampe, zwei Guerillamatten, vier Decken, vier zusammengeklappte Gartensessel, etliche Flaschen Bier und sonstige Klammotten darauf. Wir zogen uns um. Mit langen Hosen, Wanderschuhen, dicken Pullovern und so Zeug waren wir jetzt richtig warm gekleidet.
Dann gingen wir rüber, so gegen sieben.
Allen voran Schäferhündin Bonny, die bereits auf der anderen Seite der Dorfstrasse vor dem Tor wartete. Als nächster war ich mit der Schubkarre dran, die mittlerweile mit den gestapelten Gartensesseln dem schiefen Turm von Pisa ziemlich gut ähnelte. Ganz oben balancierte ein leerer Karton als Anzünder für das große Feuer. Vera folgte mit einem Tablett voll Kleinkram: Butterdose, Salzstreuer, Besteck, Gläser, Papierservietten, Flaschenöffner. Meine Mutter, die einen wollenen Freizeitanzug, einen Pullover, einen riesigen Strohhut und lammfellgefütterte Mokassins trug, bewegte Ihre Gehilfe sicher über die holprige Schotterstrasse. Felix, der Hund meiner Schwester, blieb mitten auf der Strasse stehen, erspähte Toaders Ziegen, die gerade von der Weide zurückkamen, und fing an zu bellen. Meine Schwester, die die Nachhut bildete, versuchte ihn mit einem wiederholten "Geh!" zum Weiterlaufen zu bewegen. (Das ist so ziemlich der einzige Befehl, den ein Hund nicht versteht.)
Die Ziegen blieben abrupt stehen und blickten uns dumpf an. Irgendwie gelang es meiner Schwester, den Felix über die Strasse und auf Veras Grundstück zu zerren. Ich ließ die Schubkarre stehen und machte das Tor zu. Die Ziegen blieben hartnäckig mitten auf der Strasse stehen.
"Er hat sie erschreckt. Die laufen einfach nicht weiter" sagte meine Schwester besorgt. Es gibt kaum jemanden, der so leicht ein schlechtes Gewissen kriegt wie sie.
"Die sind bloß neugierig, denn so eine Prozession bekommen sie nicht jeden Tag zu sehen. Und wenn sie sich doch von uns erschrecken lassen, dann haben sie als Karpatenziegen keine Existenzberechtigung" sagte ich leichthin.
"Der Toader wartet aber auf sie! Sie müssen doch gemolken werden" beklagte meine Schwester. Na gut, meinetwegen... Mit Bonnys Hilfe versuchte ich vergebens, von diesseits des Zauns die Ziegen zum Weitergehen zu bewegen. Sie blickten uns nur stumm an und bewegten sich keinen Zentimeter. Nach etwa 20 Minuten kam der Besitzer und trieb sie endlich mit seinem Stock nach Hause.
Bonny hatte in der Zwischenzeit angefangen, mit Anas Schweinen zu spielen, die auf der anderen Seite des Zauns weideten. Das Spiel fing wie immer damit an, daß sie sich erst durch den Zaun beschnupperten. Sie wedelten alle, auch die Schweine mit ihrem gekringelten Schwanz. Dann folgten schnelle Finten, links, rechts, links, wobei der Schweinespeck prächtig wabbelte. Dann rannten sie Schulter an Schulter am Zaun entlang, jeder auf seiner Seite, Bonny bellte mit heller Stimme, die Schweine grunzten und quiekten. Schweine haben viel Humor. Sie gaben zwischendurch vor, sich gegenseitig anzugreifen, dann übten sie Scheinangriffe auf Anas Hund, der in der Nähe angekettet war. Bujor (frei übersetzt: Pfingstrose) dachte, er muß seinen Freßnapf verteidigen und machte einen Höllenlärm.
Wir halfen der Mutter, die wir erst in einer Decke einwickelten, in den Sessel, auf dem eine Guerillamatte ausgebreitet war, und legten ihre Füße auf einen Holzscheit hoch.
In der Nähe der Feuerstätte hatte ich bereits vor einigen Tagen einen großen Haufen trockene Zweige bereitgestellt. (Das Meiste davon stammte von einem riesigen Rosenstock, den wir auf einer Fläche von gut fünfzig Quadratmetern gerodet hatten. Diese Wildrose wuchs bis drei Meter hoch und begrub nach und nach die Zweige der Vorjahre unter sich, so daß ein kompaktes Dickicht entstanden war, in dem das meiste Holz trocken war. Wir kämpften uns in den Wochen davor irgendwie mit schwerem Gerät durch. Den überwiegenden Teil davon hatte ich fürs Lagerfeuer aufgehoben.)
Ich machte das Feuer an. Das trockene Holz brannte wie Zunder. Gelb-rot-violette Flammen stiegen empor, gelbe Funken stiegen noch höher.
Wir quatschten, blickten die untergehende Sonne und den Berg an, kümmerten uns um das Feuer und tranken Bier.
Nachdem es genug Glut gab, fing ich an, nach und nach die eingewickelten Kartoffeln ins Feuer zu legen. Als es dunkel wurde, nahm ich die Taschenlampe zu Hilfe und holte welche raus.
Dann aßen wir alle, vier erwachsene Menschen und zwei Hunde, im spärlichen Licht des Feuers, jede Menge Folienkartoffeln mit Butter. Wir Menschen nahmen dazu auch Salz.
Martina (Gast) - 14. Jul, 21:48

Klar, ;)

Hunde fressen grundsätzlich nie Kartoffeln! Und warum war eine ganze Zeitlang unser Kartoffelschalenabfall so gering? Häää? ;)

Drei Hunde, alle gierig auf Kartoffeln saßen beim Schälen immer zu unseren Füßen und warteten darauf, dass mehr oder weniger versehentlich eine Schale zu Boden fiel, um dann gleich mit einem "schlllliiieeeeeeeeep" verschlungen zu werden.

Hunde mögen Kartoffeln, Möhren, Erbsen... bei Zwiebeln rümpfen sie allerdings die Nasen.

Und am allerliebsten mögen sie frische Maiskolben!!! So richtig frisch von Acker. ;)

fely - 14. Jul, 22:44

Das mit dem Mais kann ich auch bestätigen. Und außerdem: unsere Bonny (DSH) knackt Walnüsse und knabbert daran, bis sie den Kern ganz auffrißt. Während die zwei transsilvanischen Bestien, nun, die fressen alles, was nicht zurückbeißt.
Opa (Gast) - 15. Jul, 12:04

Zu Barrys Leibgerichten gehörten unter anderen auch Erdnüsse, vor allem, wenn sie zusammen mit einem Schluck Beck's Bier (aus der Handfläche) gereicht wurden.

fely - 15. Jul, 17:18

Auch das kann ich hundertprozentig bestätigen, lieber Opa. Und man kann als Hund verschüttetes Bier sogar vom Pflaster abschlecken, so wie unser "Neffe" Nino (hier zusammen mit einem Freund) demonstriert. Bei meiner nächsten Reinkarnation möchte ich so ein Hundeleben führen.
Opa (Gast) - 15. Jul, 18:01

:-)

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Tempi passati

Aktuelle Beiträge

Empfehlung
Tierisch
fely - 21. Jan, 07:21
Adieu
Felys Tagebuch wird geschlossen.
fely - 2. Aug, 23:02
Jawohl. Dies hätte auch...
Jawohl. Dies hätte auch noch den Vorteil, daß ich die...
fely - 1. Aug, 09:50
Natürlich! Kann ich mir...
Natürlich! Kann ich mir doch gar nicht leisten.
fely - 1. Aug, 09:45
Wenn
ich die Preise so vergleiche, rentierte sich da nicht...
pathologe - 1. Aug, 08:03
Sicherlich gar nicht...
Sicherlich gar nicht so Viel als die für die liebe...
larsjens - 1. Aug, 01:00
Ungerechtigkeit
Komme gerade vom Tierarzt. Habe Hundeshampoo für Bonny...
fely - 31. Jul, 19:00
Habe ich auch so verstanden,...
Habe ich auch so verstanden, denn die Aussage war in...
fely - 31. Jul, 10:55

Archiv

Juli 2008
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 2 
 3 
 4 
 7 
 8 
10
11
12
15
16
21
23
25
26
28
30
 
 
 
 

Suche

 

Status

Online seit 6714 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

Impressum


Aktuelles
Antifeminismus
Ausserirdisches
Der virtuelle Stammtisch
Deutsch als Fremdsprache
Die guten alten Zeiten
Informationstechnologien
Management fuer Anfaenger
Menschen
Platitueden
Politik
Traeume
Vierbeiniges
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren