Der maghrebinische Freund
Neulich habe ich nach langer Zeit meinen ehemaligen Arbeitskollegen Dr. Dipl. Ing. Magdy Abdel Kassar, den Ägypter, wieder getroffen. Er hatte etliche Kilo zugelegt und die meisten seiner Haare verloren, war aber ansonsten unverändert: großspurig, jovial, prahlerisch. Er ist nach wie vor der Meinung, daß Frauen auf ihn fliegen, was früher sicherlich auch der Fall war. (Heute steht zumindest fest, daß Kinder auf ihn fliegen, sie sind von seiner riesigen Gestalt einfach fasziniert, er ist für sie eine Art freundlicher, kuscheliger Godzilla.) Diesmal fragte er mich nicht, ob "es" bei mir noch läuft, diese Standardfrage war ansonsten in jedem Telefongespräch unvermeidlich.
Wir schlenderten eine Weile durch die Strassen der Büdinger Altstadt und sprachen von der guten alten Zeit bei der Firma Soledo, von meiner Scheidung, vom Irakkrieg, und auch von anderen Sachen in der Art. Ich mußte jede Menge Ratschläge, Feststellungen wie "Die Türken sind ein dummes Volk" oder „Die Gründung des jüdischen Staates war ein historischer Fehler“ und ähnliche Weisheiten einstecken.
„Apropos Juden. Kannst Du Dich erinnern, wie man Dich am Flughafen festgehalten hat?“ fragte ich ihn. Mitte der Achtziger waren wir einmal dienstlich zusammen nach Berlin geflogen, denn wir hatten in unserem Berliner Werk paar Projekte laufen. Am Flughafen Tegel wurde er ohne Angabe von Gründen vom Bundesgrenzschutz fast drei Stunden festgehalten. Dabei war wohl nicht nur sein arabisch klingender Name, sondern auch sein ausgeprägt „ausländisches“ Aussehen schuld, denn Freund Magdy hat ein ziemlich dunkles Teint, fast wie ein Nubier. Ich leistete ihm aus Solidarität und zur Belustigung der Beamten („Hier hast Du auch einen Freiwilligen, Willi!“) Gesellschaft. Den gemeinsamen Termin beim Werkleiter konnte ich telefonisch auf den Nachmittag verlegen.
„Die Idioten! Was sollte das sein? Nur weil der Schamir zu Besuch kam! Die Arschlöcher! Warum wollten sie uns nicht sagen, was los war?“ Das mit Schamirs Besuch erfuhren wir in der Tat erst, als man uns bzw. ihn gehen ließ. Seine geringschätzige Meinnung über die Grenzschützler hinderte ihn aber nicht daran, sie die ganze Zeit mit heiteren Geschichten zu unterhalten.
„Kannst Dich auch an die Autofahrt mit Grümer erinnern? Den Ersten bis fünfzig, den Zweiten bis hundert, und dann direkt in den Vierten schalten?“
„Grümer! Hast Du das gesehen? So ein Idiot! Aber das Essen war in Ordnung.“
Grümer, der Werkleiter, chauffierte uns am Abend nach der Besprechung auf Sightseeing durch ganz Berlin. Zwei Stunden lang zeigte er uns eine Sehenswürdigkeit nach der anderen und redete unentwegt. Auf der Stadtautobahn, wo die Geschwindigkeit fast überall auf 80 begrenzt war, fuhr er im Schnitt 140. Er entschuldigte sich mehrmals, daß er uns im kleinen Golf seiner Frau fahren mußte, weil seine Audi 200 Dienstlimousine ausgerechnet heute gewartet wurde. Dabei hätte er sich lieber wegen seiner Fahrweise bei seiner Frau oder beim Golf entschuldigen müssen. Wie auch immer, mit seiner Hilfe besichtigte ich zum ersten mal auch die Mauer, konnte auf eine Aussichtsplattform klettern und von oben die Grenzanlagen betrachten. Der Abend endete dann auf dem Kurfürstendamm im „Klein Paris“ bei Kalbfleisch mit Estragonsauce und Reis. Dazu tranken wir Weißwein. Göttlich.
Aber ich schweife ab. Kehren wir zurück nach Büdingen, lieber Leser, wo’s am Tag meines Treffens mit Magdy irgendein obskures Fest gab. Die Geschäfte waren daraufhin alle offen, mit Straßenverkauf und sonstigem Drum und Dran, obwohl es Sonntag war. Wir mischten uns in die bunte Menschenmenge und quatschten weiter.
Auf einmal erblickte ich auf einem Kleiderständer eine Jacke, die nicht nur gut aussah, sondern auch erheblich preisreduziert war. In meiner Größe gab’s aber nur ein Exemplar, und ausgerechnet diesem fehlte ein Knopf.
"Das dürfte kein Problem sein, nimm sie. Hier hast Du Deinen Knopf" sagte Magdy zu mir, nachdem er einen von einer anderen Jacke gleichen Models einfach abriß und ihn mir großzügig anbot. Verschämt steckte ich den Knopf schnell in meine Hosentasche. An der Kasse versuchte mein Begleiter mit Erfolg, wegen des fehlenden Knopfes den Preis noch weiter zu drücken, sprach mit der Verkäuferin über seine unmögliche Kleidergröße, lachte viel, steckte ein paar Rabattmarken ein und half mir bei der Geldübergabe aus.
Irgendwann brachte ich ihn zu seinem Hotel zurück und fuhr dann nach Hause.
Als ich hier meine Beute betrachtete, stellte ich fest, daß der abgerissene metallene Knopf kaputt war. Der Drahtbügel auf seiner Rückseite war herausgerissen und hing wohl noch am Nähgarn, an der falschen (oder, je nach Standpunkt, richtigen) Jacke.
Kleinigkeit, dachte ich mir, so was kann ich reparieren.
Zu einer Reparatur kam es jedoch nicht. Meine Katze Felicia, die von runden Gegenständen wie Münzen, Knöpfen, Nähgarnspulen und Wollknäueln magisch angezogen wird, klaute ihrerseits den Knopf von meinem Schreibtisch weg. Sie spielte eine Weile damit im Flur, wobei sie unüberhörbar mit dem Kopf gegen sämtliche Türen rannte, bis sie ihn schließlich hinter irgendeinem Möbelstück verlor. Ich habe ihn nicht mehr gefunden. Muß wohl im Bauch eines Staubsaugers und anschließend im Müll gelandet sein.
Das Verbrechen lohnt eben nicht.
Dies ist mein Beitrag zur Aktion "Ich bin ein Faschingskrapfen" des "Clubs der habtoten Dichter". (Leider habe ich einen viel schöneren Namen der Aktion durch eine dumme Bemerkung verhindert.)
Wir schlenderten eine Weile durch die Strassen der Büdinger Altstadt und sprachen von der guten alten Zeit bei der Firma Soledo, von meiner Scheidung, vom Irakkrieg, und auch von anderen Sachen in der Art. Ich mußte jede Menge Ratschläge, Feststellungen wie "Die Türken sind ein dummes Volk" oder „Die Gründung des jüdischen Staates war ein historischer Fehler“ und ähnliche Weisheiten einstecken.
„Apropos Juden. Kannst Du Dich erinnern, wie man Dich am Flughafen festgehalten hat?“ fragte ich ihn. Mitte der Achtziger waren wir einmal dienstlich zusammen nach Berlin geflogen, denn wir hatten in unserem Berliner Werk paar Projekte laufen. Am Flughafen Tegel wurde er ohne Angabe von Gründen vom Bundesgrenzschutz fast drei Stunden festgehalten. Dabei war wohl nicht nur sein arabisch klingender Name, sondern auch sein ausgeprägt „ausländisches“ Aussehen schuld, denn Freund Magdy hat ein ziemlich dunkles Teint, fast wie ein Nubier. Ich leistete ihm aus Solidarität und zur Belustigung der Beamten („Hier hast Du auch einen Freiwilligen, Willi!“) Gesellschaft. Den gemeinsamen Termin beim Werkleiter konnte ich telefonisch auf den Nachmittag verlegen.
„Die Idioten! Was sollte das sein? Nur weil der Schamir zu Besuch kam! Die Arschlöcher! Warum wollten sie uns nicht sagen, was los war?“ Das mit Schamirs Besuch erfuhren wir in der Tat erst, als man uns bzw. ihn gehen ließ. Seine geringschätzige Meinnung über die Grenzschützler hinderte ihn aber nicht daran, sie die ganze Zeit mit heiteren Geschichten zu unterhalten.
„Kannst Dich auch an die Autofahrt mit Grümer erinnern? Den Ersten bis fünfzig, den Zweiten bis hundert, und dann direkt in den Vierten schalten?“
„Grümer! Hast Du das gesehen? So ein Idiot! Aber das Essen war in Ordnung.“
Grümer, der Werkleiter, chauffierte uns am Abend nach der Besprechung auf Sightseeing durch ganz Berlin. Zwei Stunden lang zeigte er uns eine Sehenswürdigkeit nach der anderen und redete unentwegt. Auf der Stadtautobahn, wo die Geschwindigkeit fast überall auf 80 begrenzt war, fuhr er im Schnitt 140. Er entschuldigte sich mehrmals, daß er uns im kleinen Golf seiner Frau fahren mußte, weil seine Audi 200 Dienstlimousine ausgerechnet heute gewartet wurde. Dabei hätte er sich lieber wegen seiner Fahrweise bei seiner Frau oder beim Golf entschuldigen müssen. Wie auch immer, mit seiner Hilfe besichtigte ich zum ersten mal auch die Mauer, konnte auf eine Aussichtsplattform klettern und von oben die Grenzanlagen betrachten. Der Abend endete dann auf dem Kurfürstendamm im „Klein Paris“ bei Kalbfleisch mit Estragonsauce und Reis. Dazu tranken wir Weißwein. Göttlich.
Aber ich schweife ab. Kehren wir zurück nach Büdingen, lieber Leser, wo’s am Tag meines Treffens mit Magdy irgendein obskures Fest gab. Die Geschäfte waren daraufhin alle offen, mit Straßenverkauf und sonstigem Drum und Dran, obwohl es Sonntag war. Wir mischten uns in die bunte Menschenmenge und quatschten weiter.
Auf einmal erblickte ich auf einem Kleiderständer eine Jacke, die nicht nur gut aussah, sondern auch erheblich preisreduziert war. In meiner Größe gab’s aber nur ein Exemplar, und ausgerechnet diesem fehlte ein Knopf.
"Das dürfte kein Problem sein, nimm sie. Hier hast Du Deinen Knopf" sagte Magdy zu mir, nachdem er einen von einer anderen Jacke gleichen Models einfach abriß und ihn mir großzügig anbot. Verschämt steckte ich den Knopf schnell in meine Hosentasche. An der Kasse versuchte mein Begleiter mit Erfolg, wegen des fehlenden Knopfes den Preis noch weiter zu drücken, sprach mit der Verkäuferin über seine unmögliche Kleidergröße, lachte viel, steckte ein paar Rabattmarken ein und half mir bei der Geldübergabe aus.
Irgendwann brachte ich ihn zu seinem Hotel zurück und fuhr dann nach Hause.
Als ich hier meine Beute betrachtete, stellte ich fest, daß der abgerissene metallene Knopf kaputt war. Der Drahtbügel auf seiner Rückseite war herausgerissen und hing wohl noch am Nähgarn, an der falschen (oder, je nach Standpunkt, richtigen) Jacke.
Kleinigkeit, dachte ich mir, so was kann ich reparieren.
Zu einer Reparatur kam es jedoch nicht. Meine Katze Felicia, die von runden Gegenständen wie Münzen, Knöpfen, Nähgarnspulen und Wollknäueln magisch angezogen wird, klaute ihrerseits den Knopf von meinem Schreibtisch weg. Sie spielte eine Weile damit im Flur, wobei sie unüberhörbar mit dem Kopf gegen sämtliche Türen rannte, bis sie ihn schließlich hinter irgendeinem Möbelstück verlor. Ich habe ihn nicht mehr gefunden. Muß wohl im Bauch eines Staubsaugers und anschließend im Müll gelandet sein.
Das Verbrechen lohnt eben nicht.
Dies ist mein Beitrag zur Aktion "Ich bin ein Faschingskrapfen" des "Clubs der habtoten Dichter". (Leider habe ich einen viel schöneren Namen der Aktion durch eine dumme Bemerkung verhindert.)
fely - 23. Feb, 11:17