Donnerstag, 1. Dezember 2005

Aufgeschnappt

Rechtlicher Hinweis: Die nachfolgende Kurzgeschichte ist nicht nur reine Fiktion, sondern auch unwahr
Der Projektleiter präsentierte die Stellungnahmen aus den verschiedenen Unternehmensbereichen zum Stand seines Projektes. Jeder, der dem Projekt zuarbeitete, war bemüht, seinen Beitrag als besonders wichtig und auch als risikoreiches Unterfangen hinzustellen. Entsprechend langwierig und teilweise hitzig wurde Punkt für Punkt diskutiert. Dann ließ uns das Qualitätsmanagement folgendes wissen:
"Die im Regulatory Clearance Plan getroffenen Aussagen zur Klassifizierung und Konformitätsbewertungsverfahren sind weiterhin zutreffend..."
"Na, endlich eine klare Aussage" befand der Divisionsleiter, indem er so tat, als hätte er das verstanden. Das war voreilig, die drei Punkte am Schluß hätten ihn etwas vorsichtiger stimmen müssen, denn gleich wurde die Ergänzung eingeblendet:
"...allerdings wird das Robustness Assurance Report nach wie vor vermisst."
Der Projektleiter, der zwar die Präsentation zusammengestellt hatte, diesen Text jedoch offensichtlich auch zum ersten Mal richtig las, wurde bleich.
"Robustness Assurance Report? Was ist das denn?" fragte der Divisionsleiter.
"Das muß etwas von der FDA... weiß ich auch nicht genau. Ich muß meine Leute fragen" sagte der Qualitätsmanager.
"Von der FDA kommt das nicht. Es steht in unserer eigenen Checkliste zum Projektmanagement drin" widersprach der Projektleiter. "Ich hatte aber noch keine Zeit, mich damit zu befassen."
"Das ist nichts anderes als eine Zusammenstellung der Ergebnisse von Toleranzversuchen" soufflierte der Produktionsleiter.
Der Divisionsleiter war sichtlich erleichtert.
"Ach so! Das haben wir alles schon. Das ist doch die Grundbasis für die Prozeßvalidierung, brauchen Sie nur zusammenzutragen!
Ich war jetzt auch beruhigt. Ich habe es auch lieber, wenn unsere Produkte auf einer soliden Grundbasis stehen.

Auf Stelzen zu neuen Gipfeln der Sprachkunst

Irgendwann im vorigen Jahrhundert hat die Angabe der Temperatur im Schatten (Lufttemperatur) den Medien nicht mehr gereicht. (Das Wetter widersprach in diesen friedlichen Zeiten, die den Begriff "Klimawandel" noch nicht kannten, auch sonst der Journalistenmentalität: Wenn die Jahreszeiten immer brav aufeinander folgen und die Temperaturen in etwa im üblichen Rahmen bleiben, was sind das, bitte schön, für Schlagzeilen?)
Nach dem Motto "Wie warm muß es dann erst an der Sonne sein, wenn's schon im Schatten 35°C sind" wurde eine Zeitlang versucht, die Temperatur an der Sonne entweder mit Horrorzahlen (so um die 60°C herum) oder zumindest qualitativ als "mörderisch", "brüllendheiß" usw. zu beschreiben. Später rückte man doch langsam davon ab, wobei dazu wohl weniger die Einsicht, als das Vorhandensein einer besseren Alternative beitrug.
Es wurde nämlich begonnen, von der "gefühlten Temperatur" zu sprechen. Diese Sprachschöpfung schlug wie eine Bombe ein, denn sie besitzt alle Qualitäten, die es in unserer modernen Zeit bedarf, um erfolgreich zu sein: Sie ist neu, sie klingt professionell und sie hat nahezu keinen Inhalt, der womöglich jemanden überfordern und somit beleidigen könnte.
Nach und nach wurde das Beiwort "gefühlt" auch in Zusammenhang mit z.B. Wirklichkeit, Wahrheit, Geschichte, Zeit, ja sogar Intelligenz, verwendet, mit anderen Worten immer, wenn etwas (ganz im Gegensatz zum objektiven Realen) subjektiv empfundenes bezeichnet werden sollte.
So weit, so gut. Vielleicht war's auch ein bißchen anders, aber was soll's.

Jetzt wird es jedenfalls langsam abstrus, denn das Adjektiv "gefühlt" wird in zunehmendem Maß auch in Verbindung mit Einsamkeit, Freude, Stimmung, Zufriedenheit, ja sogar Gefühllosigkeit verwendet. Der Schritt zum "gefühlten Gefühl" ist nicht mehr weit. Während man sich hier noch darüber amüsiert:
[ ]
A: Wenn man alles Gefühl aus diesen 2000 Einsendungen herausnehmen würde und zu einer, sage ich jetzt mal so, zu einer Gefühlskette aneinander reihen würde, dann ergäbe das ja vielleicht sogar einen Sehnsuchtstrahl von der Entfernung Erde-Mond.
B: Wirklich? Daran hab ich noch nie gedacht.
A: Das ist kein inhaltlich gefülltes Gefühl, sondern ein gefühltes Gefühl! Also praktisch eine gefühlte Inflation des Fühlens!
B: Gefühltes Gefühl – das ist gut… [ ]
,
findet man das woanders durchaus mit ernster Literaturkritik vereinbar.
Ein hübsches Beispiel habe ich neulich in irgendeinem Forum gefunden, nämlich: "gefühlte Bestätigung". Das einzige, was ich mir darunter vorstellen kann, ist, gemäß der Weisheit "wer nicht hören will, muß fühlen", ein Satz heiße Ohren.

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