Freitag, 18. Juli 2008

Im Gesundheitswesen, auf der falschen Seite

Die Tür mit der Schrift „Sekretariat Prof. Dr. Dr. h. c. P.K. Dingsbums, Geschäftsführender Direktor, Anmeldung“ stand wie üblich sperrangelweit offen. Aus dem angrenzenden Wartebereich konnte man sich über alle im Sekretariat besprochenen Patientendaten Notizen machen, wenn man unbedingt wollte. Der Vorzimmerdrache thronte wie immer hinter dem Schreibtisch, telefonierte abwechselnd auf zwei Leitungen und ließ gleichzeitig einen Patienten, der bereits auf dem Besucherstuhl saß, einfach warten.
Ich wartete im Türrahmen mit meiner Krankenakte unter dem Arm, damit ich meine Reihe nicht verliere. Ich hatte nur eine Frage, aber ich wußte aus Erfahrung, daß der Vorzimmerdrache keine Zwischenfragen duldete. Wenn eine solche doch gestellt wurde, dann schnauzte sie den Unglücklichen genüßlich an.
Irgendwann war ich dann dran und zeigte ihr meinen Laufzettel: ich wurde vom Stationsarzt auf eine kleine Weltreise geschickt: Blutabnahme, EKG, Geschmack- und Riechtest, Allergietest und anschließend Anästhesiesprechstunde. Am nächsten Tag war bei mir eine ambulante Siebbeinoperation geplant.
Indem sie mir die Richtung zeigte, ließ sie ihre vielen Armbänder und Ketten klimpern und ein paar Edelsteine funkeln.
„Gehen Sie den Korridor lang, dann links und zweimal rechts. Da ist der Wartebereich.“
Im besagten Wartebereich waren schon schätzungsweise 20 Personen anwesend. Sie übten sich in Geduld, wie man das an ihren Gesichtern deutlich erkennen konnte. Ich guckte mir die verschiedenen Türen an und überlegte, wo ich mich anmelden soll. Auf der ersten Stand: „Hörtest. Bitte nicht stören!“, auf der zweiten „Multifunktionsraum. Bitte nicht stören!“ und auf der dritten: „Eingang um die Ecke. Bitte nicht stören!“. Die Tür um die Ecke war unbeschriftet, dafür aber verschlossen.
Ich beschloß, meine Bereitschaft zum Nichtstören am Multifunktionsraum zu demonstrieren und klopfte an. Eine zierliche Dame in Zivilklamotten machte auf. Ich übergab ihr meinen Laufzettel. Stunden vergingen. Abwechselnd ging irgendeine der Türen auf und „der Nächste“ wurde hereingebeten, wobei das jedes mal mit Konfusion und Gedränge verbunden war. Ein junger Mann im Freizeitanzug, der am Tropf hing und seinen Rollenständer samt Infusionsflasche vor sich herschob, versuchte immer wieder, sich vorzudrängen und wurde immer wieder zur Ordnung gerufen.
Irgendwann kriegte ich meine Untersuchungsergebnisse zusammen, verließ das Chaos und ging in die Anästhesiesprechstunde. Im entsprechenden Wartebereich füllte ich ein ellenlanges Formular aus, trug versehentlich ein falsches Datum ein und unterschrieb. Dann kam der Narkosearzt, ein junger und kräftiger Mann mit schwerem Kinn, und bat mich in sein Zimmer. Ich übergab ihm die komplette Mappe mit meiner Krankenakte, die neuen Untersuchungsergebnisse und das ausgefüllte Formular. Er legte die Mappe beiseite und guckte das Formular durch.
„Herzrhythmusstörungen? Werden Sie behandelt?“
„Man sagte mir, das sei nicht nötig. Gelegentliche Extrasystolen.“
„Ach so, kein Problem. Hm. Schlafapnoe. Hm. Wie schlimm?“
„Mittelgradig. Steht aber in der Akte, wurde hier im Schlaflabor untersucht.“
„Ist aber auch egal, wir werden Sie ohnehin eine Nacht lang intensiv überwachen.“
„Das geht aber nicht, ich werde ambulant operiert. Steht auch in der Akte.“
Er machte die Akte kurz auf, klappte sie aber sofort wieder zusammen, ohne irgend etwas daraus gelesen zu haben.
„Das geht nicht. Wir entlassen Schlafapnoen grundsätzlich nicht am Tag der Narkose. Ausgeschlossen.“ Ich hätte ihm am liebsten erzählt, was ich davon halte, wenn ich „Schlafapnoe“ oder - was ich auch mal gehört habe - „Nase“ genannt werde. Statt dessen sagte ich ihm ruhig:
„Ich kann Ihnen nur sagen, was vorgesehen ist. Ich werde ambulant operiert. Reden Sie bitte mit dem Professor.“
„Ich brauche mit niemandem zu reden. Sie müssen nach der OP mindestens eine Nacht hier bleiben.“
„Dann werde ich mit dem Professor reden. Ich werde entweder ambulant operiert oder gar nicht. Geben Sie mir bitte die Akte.“ Ich schnappte mir die Mappe, ließ ihn einfach sitzen und ging auf die Station.
Die Chefärztin und der Professor waren nicht abkömmlich.
Ich erklärte der Stationsärztin in wenigen Worten die Lage und eröffnete ihr, daß die unter Beteiligung meiner Person am nächsten Tag geplante Operation nunmehr ausfällt. Sie war sichtlich verwirrt.
„Wieso denn? Sie können doch eine Nacht hier verbringen. Was ist schon dabei?“
„Tut mir leid, aber das geht einfach nicht.“ Ich war nicht bereit, mich auf irgendeine Diskussion einzulassen. Soll sie meinetwegen denken, ich habe jetzt plötzlich Angst bekommen, mir war’s egal. Ich kochte, sparte mir aber meinen Ärger für den Vorzimmerdrachen auf.
Die Szenerie war die gleiche. Offene Tür, jede Menge Publikum im Wartebereich. Sie werden gleich was zu hören bekommen, dachte ich mir.
Als ich an die Reihe kam, war mir sofort klar, daß sie bereits informiert wurde.
Ich übergab ihr die Mappe mit einer ganz kurzen Erklärung und sagte anschließend:
„Auf der Station habe ich Bescheid gesagt, den Professor konnte ich aber nicht sprechen, also müssen Sie ihn informieren. Ich gehe jetzt.“ Sie verpaßte ihre Chance.
„Sie müssen verstehen, wir sind nur die Operateure. Wenn der Anästhesist medizinische Bedenken hat, müssen wir das akzeptieren. Warum wollen Sie nicht über Nacht hier bleiben?“
Jetzt sollten es alle hören. Obwohl sie sich natürlich nicht mit mir solidarisieren werden, sondern eher mit der stärkeren Seite, denn so was erscheint einem viel einträglicher.
„Sie wissen ganz genau, daß ich keinen Grund anzugeben brauche. Eine vor drei Wochen ambulant geplante OP kann nicht wie geplant stattfinden, also findet sie nicht statt, Punkt. Aber für Sie mache ich eine Ausnahme. Schauen Sie. Es geht ums Prinzip. Sie können doch nicht erwarten, daß ich als Patient das Chaos hier unterstütze, indem ich meine Pläne am Vortag der OP ändere?“
„Wieso Chaos? Das ist eine neue Situation, die erst bei der OP Vorbereitung entstanden ist.“
„Stimmt nicht. Die medizinischen Befunde sind doch seit Wochen bekannt. Der Professor hat einer ambulanten OP zugestimmt, und ich darf doch annehmen, daß die Voraussetzungen dafür im Vorfeld geklärt sind. Wann lernen Sie endlich, daß Sie dem Patienten dienen müssen und aufhören, ihn als notwendiges Übel anzusehen? Aber ich habe noch einen Grund. Vor zwei Jahren wurde ich schon hier stationär behandelt. Man hat mir damals, unter der Voraussetzung, daß kein Notfall kommt, ein Einzelzimmer versprochen. Ich wurde aber reingelegt und war damals so blöd, das hinzunehmen. Dafür werde ich mich diesmal aber formal beschweren. Darauf können sie sich verlassen.“
Warum, verdammt noch mal, fühlt man sich nach einer solchen Szene immer selbst schuld?
Zuhause angekommen war mein erster Gedanke, ich müßte jetzt unverzüglich die Herausgabe meiner Krankenakte mit all den Untersuchungen anfordern damit ich mich um einen Termin in einer anderen Klinik bemühen kann. Ich fuhr meinen Rechner hoch, um den Brief zu schreiben.
In diesem Moment klingelte das Telefon. Es war die Chefärztin.
„Tut mir leid, ich war im OP, als Sie auf der Station waren, sonst hätten wir das Mißverständnis sofort aufgeklärt. Also, es ist folgendermaßen. Sie wurden bei uns wegen der Schlafapnoe untersucht, ich kann Sie aber beruhigen, Sie leiden nicht unter diesem Syndrom. Die Sauerstoffsättigung war nicht nennenswert beeinträchtigt, so daß wir eigentlich höchstens von einer beginnender Schlafapnoe reden können. Es ist also kein Problem, die OP können wir, vorausgesetzt Sie möchten es noch, wie geplant ambulant durchführen.“
Darauf fiel mir einiges ein, ich verkniff es mir aber. Das paßte mir. Sie werden sich jetzt mit mir und der Operation mehr Mühe geben. Um Liebe ging’s so wie so nicht. Warum in eine andere Klinik gehen?
Ich willigte also ein.
== Fortsetzung folgt ==

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